Nach Nazi-Paragraph „Unfallflucht“ werden jährlich 300.000 Ermittlungsverfahren eröffnet

Leipzig/Berlin, 9. November 2017 (ADN). Ein Befangenheitsantrag des Beschuldigten gegenüber der Vorsitzenden Richterin in einem Prozess um sogenannte Leistungserschleichung führte am Donnerstag im Landgericht Leipzig zu einer fast dreiwöchigen Verhandlungspause. In dieser Zeit ist zu klären, ob die Vorbehalte gegenüber der Juristin zu Recht bestehen. In einem solchen Fall muss für personellen Ersatz gesorgt werden. Die Richterin hatte trotz der Anträge des Angeklagten die Bestellung eines Pflichtverteidigers und die Ladung von Entlastungszeugen bzw. Sachverständigen dieses Minimum an juristischer Waffengleichheit verweigert. Eines der Argumente des Beschuldigten läuft darauf hinaus, dass der Straftatbestand des „Erschleichens von Leistungen“ ein Restbestandteil der nationalsozialistischen Gesetzgebung und damit nach korrekter rechtlicher Einstufung seit 1945 nichtig ist. Nach Ansicht der Richterin besteht diese Komplikation nicht. Der Fall sei für jedermann einfach und überschaubar.

Trotz der tiefbraunen Flecken an diversen Paragraphen des bundesdeutschen Rechts werden an Gerichten der Bundesrepublik Deutschland im Dritten Reich eingeführte Straftatbestände weiterhin verhandelt und massenweise abgeurteilt. Dazu gehören auch „Vortäuschen einer Strafttat“ und das gemeinhin als Unfallflucht bezeichnete Massenphänomen. Nach dem Naziparagraphen „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ werden jährlich in Deutschland 300.000 Ermittlungsverfahren eröffnet. Das geht aus Informationen der im vergangenen Jahr gegründeten Initiative „Nazifreies Recht“ hervor. Der Paragraph habe im Jahr 1940 Eingang ins Strafgesetzbuch gefunden. Das habe ins Konzept des nationalsozialistischen Strafrechts gepasst. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich nur der Führer eines Kraftfahrzeugs strafbar machen. Alle anderen Unfallbeteiligten nicht. „Die dann erfolgte Ausweitung auf alle denkbaren Unfallbeteiligten war jedoch reinste Nazi-Rechtspolitik“, stellt die Initiative fest. ++ (ju/mgn/09.11.17 – 314)

http://www.adn46.wordpress.com, http://www.adn1946.wordpress.com, e-mail: adn1946@gmail.com, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), adn-nachrichtenagentur, SMAD-Lizenz-Nr. 101 v. 10.10.46

Nicht nur „Reste“ von Nazi-Gesetzgebung im bundesdeutschem Regelwerk

München, 27. Oktober 2016 (ADN). „Die Sprache der NS-Zeit ist nie vollständig aus den deutschen Gesetzbüchern verschwunden. Nicht jeder von den Nazis geschaffene Paragraf produziert bis heute Unrecht, wohl aber Diskussionen.“ So stellt die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) am Donnerstag fest und verweist auf eine Initiative namens „nazifreies Recht“ unter der Schirmherrschaft des Rechtsprofessors Ingo Müller. „Die braune Schleimspur“ geht nach Meinung ihrer Initiatoren – darunter der ehemalige grüne Staatssekretär Ludger Vollmer – quer durch das Strafgesetzbuch. Bei genauem Hinsehen entdecken die Aktivisten mittlerweile so viele Beispiele nationalsozialistischer Legislative und brauner Juristerei, dass es sogar dem Rechtsexperten Müller etwas unheimlich wird. Nein, nicht jeder von den Nazis geschaffene Paragraf produziere bis heute Unrecht. So wie auch Nazi-Bauten heute teils für Gutes genutzt werden könnten. Stets sei die Frage zu stellen, ob mit dem Vokabular der 1930er Jahre auch Rückstände ihres eigentlichen Ungeistes im deutschen Gesetz geblieben sind.

Die Diskussion ist mit der plötzlichen Enttarnung des 1941 generierten „Mordparagraphen“ in der Öffentlichkeit aufgetaucht. Er sollte dann entnazifiziert werden, wurde lauthals verkündet. Merkwürdigerweise ist dieses Vorhaben zum Stillstand gekommen, tut Renate Künast als Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages kund und umreißt das viel größere Ausmaß der Misere. Zu den von den Nazis eingeführten Straftatbeständen gehörten desweiteren Erpressung, Vortäuschung einer Straftat, falsche uneidliche Aussage, Urkundenfälschung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Gleiches gilt für Untreue und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – kurz: Unfallflucht. Über das Strafrecht hinaus sind unter diesem Aspekt bislang andere Rechtsbereiche wie Zivilrecht, Steuerrecht oder Genossenschaftsrecht ganz außer Betracht geblieben. Das deutsche Rechtswesen erwarten also noch weitere große und herbe Offenbarungen. 

Dem Pressebeitrag ist keinerlei Hinweis auf die Grundsatzentscheidungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zu entnehmen. Danach sind sämtliche unter der Nazidiktatur von 1933 bis 1945 verabschiedeten Gesetze und Vorschriften für immer und ewig ungültig und nichtig. In Wirklichkeit steht den Deutschen eine juristische Mammut-Reform bevor. Allerdings dürfte das Mammut schnell schrumpfen, denn es gibt das weitestgehend unterschätzte Recht aus der Zeit vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dass es weiterhin rechtskräftig, gültig und jederzeit anwendbar ist, dürfte zwar viele Zeitgenossen verblüffen, dennoch ist es Tatsache. So erstaunlich ist das jedoch nicht, wenn man einen Blick ins Ausland wirft. Beispielsweise sind bis heute in Großbritannien Gesetze in Kraft, die mehrheitlich aus dem 16. bis 19. Jahrhundert stammen. ++ (ju/mgn/27.10.16 – 293)

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