Prächtig funktionierende journalistische Selbstzensur

Hamburg, 18. November 2020 (ADN). „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“. Inwieweit dieser Grundsatz aus Artikel 5 des Grundgesetzes für die deutschen Leitmedien noch von Belang ist, erörtern die ehemaligen Tagesschau-Redakteure bzw. NDR-Mitarbeiter, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam am Mittwoch in einem Meinungsbeitrag. Sie fragen, wozu es noch das Zensurverbot im Grundgesetz eigentlich noch braucht, „da doch die qualitätsjournalistische Selbstzensur so prächtig funktioniert“. Ein simpler Zahlenvergleich mache das effiziente Zusamenspiel von Politik und Medien sichtbar. Im Verlauf der COVID-19-Pandemie sterben in der Volksrepublik China 4.748 Menschen am oder mit dem SARS-CoV-2-Virus (Stichtag 9. November 2020). Im gleichen schieden in Deutschland 11.352 COVID-19-Patienten aus dem Leben. Das geht aus Daten der Weltgesundheitsorganisatio (WHO) hervor. Pro eine Million Einwohner heißt das: 33 tote Chinesen, 136 tote Deutsche. Die deutsche Quote an Opfern dieser Pandemie ist 41-mal höher als die chinesische jemals war. „Aber unsere politische Elite und ihre Empörungsjournalisten werden nicht müde, unisono die Wahrung der Menschenrechte in der Volksrepublik China einzufordern. Als ob das Recht auf Leben und Schutz der Gesundheit nicht das wichtigste aller Menschenrechte wäre,“ so die beiden Medien-Experten. Zur Abrundung nennen sie noch einen Vergleich: Am 9. November 2020 wurden in Deutschland 13.300 Neuinfektionen gemeldet, in der Volksrepublik 47. ++ (me/mgn/18.11.20 – 350)

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Journalistische Selbstzweifel wachsen – Mediale Innenbetrachtungen zwischen Misstrauen und Skepsis

Hamburg, 14. juni 2019 (ADN). Der Täuschungsfall des Journalisten Claas Relotius aus der Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ bestimmte den Auftaktag der diesjährigen Jahrestagung der Organisation investigativer Journalisten „netzwerk recherche“ (nr) am Freitag in Hamburg. Es wurde konstatiert, dass die Stimmung der Konsumenten deutscher Medien zwischen Misstrauen und Skepsis schwankt.  Zuschauer, Zuhörer und Leser messen den Jahrelangen Betrugsmanövern von Relotius eine Schlüsselposition in der Beurteilung über  eine wahrheitsgemäße Informationsversorgung sowohl durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als auch durch die maßgeblichen privaten Medien zu. Auf der Tagung wurde generell festgestellt, das sich der deutsche Journalismus intensiv und kritisch mittels eigener Innenbetrachtungen mit sich selbst auseinandersetzen muss. Nur so könne eine neue Basis für Glaubwürdigkeit aufgebaut werden. Den Bürgern sei Verständnis entgegenzubringen, wenn sie die Neutraltät und Unabhängigkeit der Presse-Berichterstattung angesichts der Vorgänge in Deutschlands Leitmedien in Zweifel ziehen. Der gerade neu aufgetauchte Betrug eines langjährigen Mitarbeiters des Senders RTL bestätige das. Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Volker Lilienthal stellte fest, „Relotius hat ideologische Narrative bedient“. Dazu gehöre die Blutrache in Albanien und auf dem ganzen Balkan, die angeblich in dieser Region nach wie vor vorherrscht. Dieses Vorurteil durchwabere zahlreiche Redaktionen. Statt über die Wirklichkeit sach- und wahrheitsgemäß zu berichten, werden „Geschichten“ so zurechtgebogen, dass sie der bestehenden Vorstellungswelt von Redaktionsleitungen entgegen kommen.

Nach den Worten der ehemaligen Chefredakteurin der „Berliner Zeitung“ Brigitte Fehrle, die zur Spiegel-Aufklärungskommission gehörte, sind die tatsächlichen Ereignisse rund um den Relotius-Fall noch viel tiefgreifender, bedrückender und besorgniserrregender als es in der Außendarstellung verdeutlicht wird. Die innerredaktionelle Aufarbeitung beim Hamburger Nachrichtenamagazin habe erheblich zu wünschen übrig gelassen. Das für Verfälschungen sehr anfällige Gesellschaftsressort als Aushängeschild des Printmediums sei in seiner Arbeit fernab der Wirklichkeit tätig gewesen und habe innerbetriebliche Kritiker versucht zu desavouieren. Zu ihnen gehört Juan Moreno, der als freier Mitarbeiter beim „Spiegel“ auf eigenes Berufsrisiko hin die Relotius-Lawine in Bewegung setzte und am Sonnabend für diese Leistung den nr-Preis „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ verliehen bekam.

Bisherige journalistische Praktiken versuchte der Chef der ARD-Tagesschau Kai Gniffke zu relativieren und zu rechtfertigen. Als Beispiel dafür, dass die Entscheidungen im Norddeutschen  Rundfunk (NDR) kaum angreifbar sind und unabhängig getroffen werden, nannte er den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten. Darüber habe die Tagesschau nicht berichtet, weil auch eine persönliche Beziehungstat naheliegen könnte. Dennoch hätten fast alle anderen Medien darüber in aller Ausführlichkeit berichtet. ++ (me/mgn/14.06.19 – 163)

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24-Stunden-ARD-ZDF-Nachrichtenkanal als Gegengewicht zu Russia Today gefordert

Köln, 23. Juli 2016 (ADN). Der ehemalige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Ulrich Deppendorf fordert, ein Gegengewicht zum Nachrichtenkanal Russia Today zu schaffen. Das bekräftigte er in einem Gespräch mit dem Journalisten Daniel Bouhs, der am Sonnabend im Deutschlandfunk seine Gedanken über die Einrichtung eines vollwertigen Nachrichtenkanals der ARD und des ZDF äußerte. Die Berichterstattung am Vortag zu dem Attentat in München habe gezeigt, dass es ein wachsendes Bedürfnis für einen solchen Sender gibt. Temporär seien die beiden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dieser medialen Nachfrage infolge des brutalen Ereignisses in der bayrischen Landeshauptstadt auch tatsächlich gefolgt. Allerdings sei darauf zu verweisen, dass für einen solchen 24-Stunden-Nachrichtenkanal die personelle Substanz – beispielsweise genügend qualifizierte Reporter – fehlt. Das habe auch der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniffke, bestätigt. Sein Redaktionsteam hatte sich entschlossen, am Freitag von 20 Uhr bis 0.30 Uhr am Sonnabend mit „tagesschau“ und „tagesthemen“ auf Dauersendung zu gehen, um fortlaufend über die Entwicklung in München zu berichten. Nach Gniffkes Auffassung ist Live-Berichterstattung nichts Neues und Recherche unter Live-Bedingungen gebe es schon lange. 

Das Bemühen der beiden bundesdeutschen Fernsehsender um minutiöse und präzise Berichterstattung steht allerdings in krassem Gegensatz zu der Geheimniskrämerei innerhalb ihrer eigenen Medienapparate. Seit Monaten rumort es dort. Die Forderungen nach Transparenz über die Höhe der Honorare für diverse Moderatoren werden immer lauter. Sie offenzulegen, weigern sich die Sender-Verantwortlichen jedoch bisher strikt. Dennoch ist der Bedarf an solchen Informationen mindestens ebenso groß wie nach einem 24-Stunden-Nachrichtenkanal, nachdem für die 2013 eingeführte Rundfunkgebühr unverhältnismäßig scharfe Zwangsbeitreibungsmethoden praktiziert werden. ++ (me/mgn/23.07.16 – 198)

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Offenbarungsmarathon in Sicht – Rücktrittsforderung an Islands Ministerpräsident

Hamburg, 4. April 2016 (ADN). Die 11, 5 Millionen von dem internationalen Recherche-Netzwerk ICIJ durch ein riesiges Datenleck gefundenen Dokumente versprechen einen wahren Offenbarungsmarathon über die nächsten Wochen und Monate hinweg. Besondere Brisanz bergen die zu erwartetenden Enthüllungen über Spitzenpolitiker und Prominente anderer Couleur, sagte der an der Aufdeckung der „Panama Papers“ beteiligte Benedikt Strunz vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Montag.  Das betreffe insbesondere den Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, den gerade ins Amt gewählten argentinischen Staatspräsidenten, Maurizio Macri, und den Ministerpräsidenten Islands Sigmundur Davio Gunnlaugson. Letzterer hatte aufgrund diesbezüglicher Fragen ein Interview einfach abgebrochen und damit die schweren Vorwürfe halbwegs bestätigt. Für Montag sind bereits Sondersitzungen zur Klärung der Verwicklungen in Reikjavik anberaumt. Es sind Demonstrationen angekündigt und eine Petition wurde in Gang gesetzt, mit der inzwischen mehr als 15.000 Isländer den Rücktritt ihres Regierungschefs fordern. Nach den Worten von Strunz sind neben der Nennung konkreter Personen auch diverse Unternehmen in den Verdachtsfokus von Steuerbetrug und Geldwäsche geraten. In Deutschland betreffe dies neben den Banken auch den Siemens-Konzern. Ermittlungen gebe es inzwischen in Australien und Neuseeland. Dennoch sei zu bedenken, dass Steueroasen und Briefkastenfirmen per se nicht illegal sind. „Wenn ich eine Briefkastenfirma als Deutscher besitze, mache ich mich nicht sofort strafbar, ich kann die für legale Zwecke benutzen, beispielweise wenn ich in Steueroasen legalen Geschäften nachgehe, wenn ich da einen Geschäftszweig aufbauen möchte etwa.“

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold nannte das aktuelle Enthüllungsereignis ein „Meisterstück des investigativen Journalismus“. Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation zwischen NDR, MDR und Süddeutscher Zeitung, hatte am späten Sonntagabend in einer ARD-Sendung bestätigt, dass mehr als 400 Journalisten aus rund hundert Medien „Über ein Jahr lang die Klappe halten mussten“, bevor am Sonntag um 20 Uhr vereinbarungsgemäß der Startschuss zu den umfangreichen Publikationen in der Nachrichtensendung „Tagesschau“ fiel. ++ (br/mgn/04.04.16 – 095)

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