„Roxanne“ identifiziert anhand des gesprochenen Worts

Brüssel, 12. Oktober 2020 (ADN). Die Europäische Kommission entwickelt ein Verfahren zur Identifikation von Personen anhand ihres gesprochenen Wortes. Die Plattform „Roxanne“ soll große Datenmengen verarbeiten und kombiniert dafür Audiodateien mit anderen Informationen, die Personen hinterlassen. Darüber berichtet das Nachrichtenportal http://www.netzpolitik.org am Montag. Um Netzwerke von Verdächtigen zu erkennen, wertet die Plattform auch Videos mithilfe von Gesichterkennung aus. Sie stammen aus öffentlichen Überwachungskameras oder wurden bei Anbietern wie Youtube und Facebook heruntergeladen.

24 europäische Organisationen aus 16 Ländern machen bei „Roxanne“ mit, davon die Hälfte Strafverfolgungsbehörden und Innenministerien. Aus Deutschland sind die Universitäten des Saarlands und die aus Hannover beteiligt. Zum Konsortium gehören Interpol und der Konzern Airbus. Auch Europol als EU-Polizeiagentur ist an Bord. Bei der Analyse geraten zwangslüfig Personen ins Raster, die keiner Straftat verdächtig sind. Das widerspricht der Europol-Verodnung. Der Europa-Datenschutzbeauftragte hat deshalb die EU-Polizeiagentur vor zwei Wochen in einem Schreiben gerügt. ++ (pl/mgn/12.10.20 – 313)

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Deutschlands mediale Unabhängigkeit und Freiheit fällt in Tristesse

Berlin/Leipzig, 26. April 2017 (ADN). Die in der Bundesrepublik Deutschland so hoch gepriesene Unabhängigkeit und Freiheit der Presse trübt sich spürbar ein und fällt in Tristesse. Der am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Jahresbericht der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ beschreibt in einer „Nahaufnahme Deutschland“ den Niedergang teilweise sehr deutlich und benennt einige Beispiele aus dem Untersuchungszeitraum von Januar 2016 bis März 2017. Zu registrieren sei erneut eine erschreckend hohe Zahl von tätlichen, Angriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten. In München wurde ein Chemnitzer Reporter, der über den NSU-Prozess berichtete, mit der Mitteilung bedroht, man kenne seine Privatadresse. Immer wieder geraten Journalisten ins Visier von Strafverfolgungsbehörden. Damit wird insbesondere die Tätigkeit investigativ arbeitender Journalisten erschwert. So initiierte im April 2016 die Staatsanwaltschaft Stuttgart Ermittlungen wegen des Verdachts auf Veröffentlichung von Gerichtsakten gegen den Filmemacher Daniel Harrich  und mehrere Mitwirkende an einer ARD-Dokumentation. Die Journalisten hatten ungenehmigte Waffenexporte des deutschen Waffenfirma Heckler & Koch nach Mexiko aufgedeckt. Von Justiz und Nachrichtendiensten werden ohne gesetzliche Grundlage Standortdaten erfasst. So können auf Knopfdruck verdächtige Metadaten mit Gesprächsmitschnitten verknüpft werden.

Zur Misere gehören zunehmende Schleichwerbung und abnehmende Vielfalt. Der Strukturwandel führt nicht nur zu Verlagskonzentrationen und -fusionen, sondern sogar zum Verschmelzen von Redaktionen. Der Prozess reicht bis tief in die Regional- und Lokalberichterstattung. Eines der signifikantesten Beispiele ist die 2015 gegründete Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe, die zwölf Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 1,4 Millionen verkauften Exemplaren und einer starken Präsenz im Ruhrgebiet, in Thüringen, Hamburg und Berlin versorgt. Exemplarisch für den Verzicht auf Facettenreichtum hin zu Einheitsberichterstattung ist weiterhin das Redaktionsnetzwerk Deutschland, das 30 Tageszeitungen mit überregionalen Inhalten beliefert.

Markant sind auch die Versuche politischer Einflussnahme und der Ausschluss unliebsamer Journalisten. Die Krise des Journalismus hat sogar die Ausbildungssphäre erfasst. Gerade informierte die Universität Leipzig, dass der traditionsreiche Studiengang Journalistik seine Attraktivität einbüßt. Die Bewerberzahlen seien drastisch gesunken. Der Lagebericht der zuständigen Fakultät dokumentiere Unzufriedenheit in Lehre und Studium. Um den Studiengang zu reformieren, soll die Einschreibung für ein Jahr ausgesetzt werden. Ab 2018 gebe es ein Angebot in neuer Form. ++ (me/mgn/26.04.17 – 116)

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Ghandi wäre nach deutschem Strafrecht ein Gewalttäter – Gesetze bis heute mit NS-Ideologie durchsetzt

Leipzig, 28. November 2016 (ADN). „Das Strafgesetzbuch ist eigentlich nie richtig reformiert worden – nur ein Flickwerkteppich, aber nie der große Wurf“. Das erklärte die Berliner Rechtsanwältin Dagmar von Strahlendorff-Grüttemeier am Montag im Rundfunk. Sie antwortete damit auf die Frage des Hörers Karl-Heinz Fengner beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), wie viele Paragraphen im Bürgerlichen Gesetzbuch und im Strafrecht heute noch von NS-Paragraphen bestimmt werden und warum diese nicht schon längst reformiert worden sind. Das wohl bekannteste Beispiel eines solchen Paragraphen, der seit der NS-Zeit gilt, sei der Paragraph 211. Seit dem Jahr 1941 lautet er: Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Nach den Worten von Strahlendorff sollte im Nationalsozialismus ein Tätertyp als Volksschädling herausgearbeitet werden. Da sollte es eben eine Volksgemeinschaft geben, die Volksschädlinge aussortiert, um einen starken Volkskörper zu haben. Wichtiger als die Tat sei – typisch für NS-Ideologie – die Motivation des Täters.  Strahlendorff nannte weitere Delikte, die aus der Nazi-Zeit stammen. Dazu zähle die Nötigung. Danach würde der friedfertige Mahatma Gandhi wegen seiner Sitzproteste in Deutschland als Gewalttäter wegen Nötigung verurteilt.

Die Ursache für den nationalsozialistischen Ungeist im bundesdeutschen Recht sieht die Berliner Anwältin, die die Initiative Nazifreies Recht gegründet hat, darin, dass in der Nachkriegszeit viele NS-Juristen einfach weiterbeschäftigt wurden. Im Falle des Nötigungsparagraphen gehe die bis heute gültige Auslegung auf den Nazirichter Paulheinz Baldus zurück, der später am Bundesgerichtshof (BGH) jahrelang Recht sprach. Die „personelle Kontiuität“ hat fatale Folgen gehabt, gestand kürzlich Bundesjustizminister Heiko Maas ein. „Viele Gesetze wurden nur sehr oberflächlich entnazifiziert. Nazigesetze erhielten dadurch einen demokratischen Segen und das führt dazu, dass wir bis heute in den Gesetzen Ideen und Formulierungen haben, die aus der NS-Zeit stammen.“

Wie MDR Aktuell auf Nachfrage im Bundesjustizministerium erfuhr, ist eine komplette Reform oder Überprüfung aller Rechtsnormen nicht nötig. In den vergangenen zehn Jahren seien rund 150 Gesetze und Verordnungen aus der NS-Zeit aufgehoben worden. Übrig seien jetzt nur noch 31 Paragraphen, von denen einige wie das Patentgesetz und das Depotgesetz schon reformiert seien. Der Rest werde noch überprüft. Auch die alltäglichen Straftatbestände Unfallflucht und Erschleichen einer Beförderungsleistung gehören zu den Paragraphen mit starker nationalsozialistischer Prägung.++ (ju/mgn/28.11.16 – 325)

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„Schwarzfahren“ ist eine in der NS-Zeit kreierte Straftat

Leipzig/Berlin, 17. August 2016 (ADN). Den Argumenten eines angeklagten „Schwarzfahrers“ entzogen sich Richter und Staatsanwältin am Mittwoch im Amtsgericht Leipzig auf billige Weise. Der Beschuldigte hatte auf die komplizierte Rechtsmaterie und den bestehenden erheblichen Beweismangel hingewiesen. Trotz falscher Namensangaben auf Kontrollbelegen und in der Anklageschrift wurde der angebliche Schwarzfahrer, dem außerdem ein Rechtsbeistand verweigert wurde, zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt.

„Schwarzfahren“ heißt in der Juristensprache „Leistungserschleichung“ und wurde pikanterweise im Jahr 1935 – also in tiefsterer nationalsozialistischer Zeit – in den Rang eines Straftatbestandes erhoben. Darauf beharrt das bundedeutsche System bis in die Gegenwart, obwohl diese Delikte inzwischen die Justiz blockieren. Im Übrigen wurde von den Siegermächten jedwede Nazi-Gesetzgebung ein für alle Male für ungültig erklärt. Deutschlandweit wurden im Jahr 2012 bei der Polizei 253.312 dieser Delikte angezeigt. Dieser eigentlich „niedrigschwellige Normverstoß“, dessen Hochburgen Dortmund, Frankfurt am Main und Karlsruhe sind, bremst nach den Worten einer Richterin aus Berlin-Neukölln die Gerichte zunehmend aus. 25 bis 30 Prozent aller Gerichtsverfahren gegen Erwachsene betreffen diesen Sektor, der auch die Gefängnisse füllt. Von knapp 500 Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee ist ein Drittel „schwarz gefahren“. Allein drei nicht gekaufte Fahrscheine lösen Kosten von 3.000 Euro für Strafverfolgung und nochmals 3.000 Euro für eine Inhaftierung aus. Die Richterin  beklagt, manchmal sieben bis acht Fälle pro Tag bearbeiten zu müssen. Ihre Empfehlung lautet, „Schwarzfahren“ nur noch als Ordnungswidrigkeit zu behandeln oder Hartz-IV-Empfänger gratis fahren zu lassen. Das würde in der Justiz unglaubliche Kräfte freisetzen. Inzwischen gewinnt diese Idee an Zugkraft. Die Linkspartei hat zu Beginn dieses Jahres einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, die „Leistungserschleichung“ nicht mehr als strafbar einzuordnen. Sie schlägt eine bundesweit flächendeckende Ausgabe von Sozialtickets vor. ++ (ju/mgn/17.08.16 – 222)

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