Globale Risiken und Chancen russischer EU-Gasexporte erörtert

Leipzig, 9. Mai 2019 (ADN). China plant große transkontinentale Energiekorridore und dennoch redet Europa nicht mit der eurasischen Wirtschaftsunion. Das ist einer von vielen Widersprüchen und Ungereimtheiten, über die am Donnerstagabend in Leipzig deutsche und russische Energiefachleute mit Dr. Kirsten Westphal diskutierten. Zu den zahlreichen Unwägbarkeiten zählen nach Meinung der Expertin für globale Fragen in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auch die wachsenden Meinungsverschiedenheiten und die größer werdende Kluft innerhalb der Europäischen Union (EU) zwischen Ost- und Westeuropäern mit Blick auf das wirtschaftspolitische Verhältnis zu Russland. Zu den Dilemmata und Güterabwägungen seien einzuordnen die Probleme einer Erpressbarkeit durch russische Gaslieferungen, der Einkünfte für den russischen Haushalt durch Brennstoffexporte und der stärkeren hybriden Bedrohungslage. Westphal zeigte anhand überzeugender Statistiken über den Zeitraum 1970 bis 2017, dass die russischen Erdgaslieferungen sich kontinuierlich auf hohem Niveau entwickelten. Ausnahmen bildeten ein Spitzenwert 1987/88 und ein Einbruch 2014/15.

Der gesamte Gasmarkt Europas umfasste im Jahr 2017 einen Verbrauch von 532 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Davon werden 306 Milliarden – rund 55 Prozent – importiert. Davon wiederum stammten 189 Milliarden Kubikmeter – 36 Prozent – aus Russland. Davon wiederum fließen 55 Milliarden Kubikmeter (neun Prozent) allein über die erste Nordstream-Trasse) auf direktem Wege durch die Ostsee von Russland nach Deutschland. Daraus lässt sich nach Auffassung von Westphal keine einseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ableiten. Im Gegenteil, es gebe durch das engmaschige gesamteuropäische Rohrleitungsnetz zahlreiche Alternativen und Optionen. Dennoch entzündeten sich am gegenwärtig im Bau befindlichen zweiten Strang der Nordstream-Pipeline heftige Auseinandersetzungen zwischen West- und Osteuropa. Leider spalte Nordstream. Eine zusätzliche Verschärfung löse die Ukraine, durch die große Mengen russisches Gas westwärts gepumpt wird, mit zahlreichen, inbesondere politischen Unbekannten aus. Wichtig sei zu betonen, dass Nordstream ein kommerzielles Projekt ist, das von Firmen getragen wird. Deshalb komme den derzeitigen Gesprächen der Trilateralen Kommission EU-Russland-Ukraine jetzt besondere Bedeutung zu – auch weil der Gastransitkontrakt 2019 ausläuft und neu zu verhandeln ist. Insgesamt wähne man sich eher im Zeitalter zunehmenden Nationalismus und Protektionismus als in einer Globalisierungs-Epoche. „Das alles in Brüssel zusammenzubringen, darüber bin ich momentan ratlos“, gesteht die Globalisierungs-Fachfrau, die den deutsch-russischen Energiedialog leitet, zum Expertenrat Geopolitik der Energiewende gehört und mit deutsch-polnischen Energiefragen befasst ist. Es gebe keinen EU-Konsens für die Zukunft bezogen auf Energie, Klima und Russland. „Es wurde viel Porzellan zerschlagen“. Viele wollten die neue Pipeline einfach verhindern. Das gelte nicht nur für das renationalisierte Polen, das russisches Gas für Erpressungsmaterial hält und Energierohstoffe zu hohen Preisen beispielweise in Katar einkauft. All das spiele sich vor dem Hintergrund  hoch aufgeladener Emotionen ab.

Die sehr informative Veranstaltung, die von der Deutsch-Russischen Gesellschaft zu Leipzig und dem ebenfalls in der Messestadt ansässigen größten ostdeutschen Gasversorgungsunternehmen VNG Handel & Vertrieb organisiert worden war, endete sehr nachdenklich. VNG-Geschäftsführer Konstantin von Oldenburg hatte eingangs sowohl auf die außen- und geopolitischen Aspekte der russischen Erdgasexporte als auch auf die Schlüsselfrage des Liefertransits durch die Ukraine hingewiesen. ++ (rl/mgn/09.05.19 – 128)

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