Herfried Münkler: Der Friede ist zerbrechlich wie noch nie

Zürich, 18. Februar 2018 (ADN). Die Welt ist voller Kriege. Nur erkennen wir sie nicht mehr. Das macht sie noch gefährlicher. Das resümiert Herfried Münkler, Professor für Theorie der Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, am Wochenende in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ). Die Hoffnungen, die mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Zerfall der Sowjetunion aufgekommen waren, hätten sich nicht erfüllt. Es habe keineswegs einen Eintritt in eine Ära verlässlichen Friedens gegeben. Aber die Drohung eines großen Krieges, die bis 1989 auf Europa gelastet hat, sei verschwunden. Die europäischen Länder hätten die daraus resultierende Friedensdividende eingestrichen und ihre Rüstungsausgaben deutlich gesenkt. An den Rändern und der Peripherie Europas hätten sich jedoch neue Kriege entwickelt, die ganz andere Strukturen und Entwicklungsdynamiken aufweisen als die europäischen Kriege der Vergangenheit.

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts beruhte die europäische Ordnung, so Münkler, auf einer präzisen Trennung zwischen Staatenkrieg und Bürgerkrieg. Die jugoslawischen Zerfallskriege der 1990er Jahre, die Kriege am Schwarzen Meer und im Kaukasus sowie die Kriege im Vorderen Orient seien dagegen beides zugleich. Sie würden Elemente des zwischenstaatlichen und des innergesellschaftlichen Krieges miteinander verbinden. Nicht zuletzt  deswegen seien sie von so langer Dauer. Die aus dem Westfälischen Frieden von 1648 und der anschließenden Staatenpraxis beruhte auf dem Grundsatz der Binarität: Entweder das eine oder das andere, denn ein Drittes gab es nicht. Wo es doch zu entstehen begann, wurde es konsequent unterbunden. Konkret hieß das: entweder Krieg oder Frieden. Diese Binarität habe es ermöglicht, die Übergänge von dem Politischen in der Form der Kriegserklärung und des Friedensschlusses juridisch zu regeln. Das sei vor 1648 nicht so gewesen. Die Parteien, die im Dreißigjährigen Krieg gegeneinander kämpften, taten das fast durchweg ohne Kriegserklärung. Einige Friedensabkommen blieben ohne Bindewirkungen für die Kriegsbeteiligten. Es sei ein Wesensmerkmal der westfälischen Ordnung, die bis ins 20. Jahrhundert hinein in Europa fortbestand, dass sie diese Unklarheiten und Uneindeutigkeiten beendete. Die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete neue Ordnung kehrte nur noch eingeschränkt zum Prinzip der Binarität zurück. Das „politische Rechnen“ habe sich zwar weiterhin auf die Unterscheidung von Krieg und Frieden gestützt, aber der Krieg galt gemäß UNO-Charta als illegitim. Es sollte keine Kriege mehr geben.  ++ (18.02.18 – 049)

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Krieg ist ein Chamäleon – Mesopotamische Ebene von „Dreißigjährigem Krieg“ überzogen

Bonn/Berlin, 26. Februar 3ß17 (ADN). Krieg ist wie ein Chamäleon und nun in anderer Gestalt zurückgekehrt. Das sagte der Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität am Sonntag im TV-Sender „Phoenix“. Kriegführung sei wieder billig geworden. Krieg könne geführt werden ohne Luftwaffe und Marine sowie ohne Achtung des Kriegsvölkerrechts. In Nordafrika und auf der mesopotamischen Ebene gebe es eine Art „Dreißigjährigen Krieg“ ohne Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden. Die Globalisierung werde mehr unter dem technokratischen Blickwinkel gesehen. Angela Merkels „Alternativlosigkeit“ sei eine Chiffre für sinkende Handlungsfähigkeit. Zunehmend versuchten Autokraten, die Fesseln des Rechts zu zerreißen. Das unselige Trio Putin-Erdogan-Trump erscheine den Leuten attraktiver als die Herrschaft des Rechts. Es wachse die Sehnsucht nach Kleinräumigkeit und Neoprotektionismus.

Zu den innenpolitischen Zuständen in Deutschland beklagte Münkler eine „normative Überfrachtung demokratischer Prozesse“. Das schwäche, mache hilflos und handlungsunfähig bis hin zu Stillstand. Der Berliner Flughafen BER und das Projekt Stuttgart 21 zeigten, wie solche Vorgänge blockieren. „Der Wunsch, aus der Selbstfesselung herauszukommen, ist nicht erfüllbar durch mehr direkte Demokratie“, betonte der Politikwissenschaftler. Referenden endeten letztlich in der Irreversibiltät von Entscheidungen.  Er empfiehlt, sich die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts genau anzusehen, um nicht zum Opfer populistischer Parteien zu werden. Münkler spricht sich für ein Wiederbeleben der Parteiendemokratie aus. ++ (pl/mgn/26.02.17 – 055)

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Neurosen, Missverständnisse und Instrumentalisierungen um den Begriff „Verfassungsfeind“

München, 27. Mai 2016 (ADN). Wer überall die Verfassung bedroht sieht, betreibt am Ende unweigerlich jene diffuse Identitätspolitik, die er den anderen vorhält. Das stellt der Staatsrechtler Florian Meinel von der Humboldt-Universität Berlin am Freitag in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) fest. So sei die Politik der Verfassungsfeindschaft die schmutzige Seite des bundesrepublikanischen Verfassungspatriotismus. Sie transportiere die Unsicherheiten der heterogener werdenden sogenannten Mehrheitsgesellschaft mit ihrer „Verfassungsidentität“ tendenziell neurotisch nach außen. 

„Mit dem Kampfbegriff des Verfassungsfeinds, den keine andere Sprache kennt, muss es also eine besondere Bewandtnis haben. Es gibt innere und äußere Feinde, Staatsfeinde und Feinde des Fortschritts – aber Verfassungsfeinde ?“, fragt Meinel nach dem Hintergrund des Verbalunikats und beleuchtet die Entstehungsgeschichte der Wortgruppe. Sie habe ihre Bedeutung in der Mitte des 20. Jahrhunderts erlangt. Verfassungsfeinde hießen in den 1860er Jahren noch jene, die gegen die Reichseinigung und Bismarcks Verfassungspläne waren, während der Reichskanzler seine innenpolitischen Feinde als „vaterlandslose Gesellen“ bekämpfte. Auch nach dem Ersten Weltkrieg seien Verfassungsfeinde jene Gruppen gewesen, die das Weimarer Verfassungswerk ablehnten. Erst Carl Schmitt habe dem Begriff Ende der Weimarer Republik seine heutige Bedeutung gegeben.  Jede Verfassung habe danach grundlegende Prinzipien, einen werthaften normativen Verfassungskern, der nicht zur Disposition demokratischer Politik steht und deswegen nicht verhandelbar ist.

So eng der verfassungsrechtliche Begriff des Verfassungsfeindes, so weit und unscharf ist der politische, meint Meinel. Er unterscheide sich von der bloßen Gegnerschaft durch unbestimmte Gesinnungskriterien. „Bis zur Unkenntlichkeit verwischen dann in der politischen Sprache die Unterscheidungen zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungsfeindschaft, von Unvereinbarkeit mit der Verfassung und Angriffen auf ihre Substanz,“ stellt des Wissenschaftler fest. Das geschehe mit Erfolg, denn die Politik der Verfassungsfeindschaft gehöre zum diskursiven Arsenal der deutschen Öffentlichkeit, mit der sogenannte Rechtsparteien klein  gehalten werden. Das Grundgesetz rechne von Anfang an mit Verfassungsfeinden, kenne aber den Begriff nicht und habe die rechtlichen Instrumente des Kampfes gegen Feinde der Verfassung strikt formalisiert. ++ (vf/mgn/27.05.16 – 141)

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