Gefangene berechtigt zu Eintritt in Rentenversicherung

Berlin, 19. Juni 2018 (ADN). Die Justizministerkonferenz der Länder hat beschlossen, dass Gefangene in das Rentenversicherungssystem aufgenommen werden können. Über Hintergründe des lange Zeit umstriittenen Vorhabens berichtet am Dienstag in der Berliner Tageszeitung „junge Welt“ Martin Singe, Referent beim „Komitee für Grundrechte unsd Demokratie“ in einem Interview. Das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes, das Sozialstaats- und das Resozialisierungsgebot erforderten, dass die Arbeit der Gefangenen fair entlohnt wird und Sozialabgaben wie außerhalb der Mauern gezahlt werden. Nunmehr seien die Länder und die Betriebe gefordert, die in den Strafanstalten zu Billiglöhnen arbeiten lassen. Es dürfe nicht sein, dass sich Gefängnisse als Billglohnanbieter bei der Industrie anbiedern. Seine Gremium verlange als Bezugsgröße zur Rentenversicherungsberechnung 70 Prozent des Mindestlohns.

Zum weiteren Fortgang des Verfahrens sagte Singe, dass die Bundesregierung das Sozialgesetzbuch entsprechend ändern muss. Bereits in den Jahren 1979 und 1981 habe es unter Bundeskanzler Helmut Schmidt solche Versuche gegeben. Sie scheiterten an der Verweigerungshaltung der Bundesländer. Zur Finanzierung  gehe nicht um Unsummen. Wenn die kostenträchtigen Ersatzfreiheitsstrafen abgeschafft würden, könnte mit dem so Eingesparten die Rente für Gefangene finanziert werden. ++ (ju/mgn/19.06.18 – 151)

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NZZ: Deutscher Staat erklärt sich gerne für handlungsunfähig

Zürich, 15. Juli 2017 (ADN). Nach den Bildern von Hamburg wird niemand Friedrich Nietzsche widersprechen. Der Philosoph stellte fest, der Deutsche „versteht sich auf Schleichwege zum Chaos“. Damit beginnt Eric Gujer  den Titelbeitrag der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) am Sonnabend und leuchtet dabei mit klaren Worten Hintergründe bundesdeutscher Hilflosigkeit in der Politik unter der Überschrift „Verdrängen und wegsehen“ aus. Bei der inneren Sicherheit sei die Neigung zur Verdrängung besonders ausgeprägt. Häufig kapituliere der Rechtsstaat vor seinen Gegnern. Die Bedrohungslage sei in Hamburg nicht neu gewesen und es bleibe unerklärlich, wieso dann der Staat so eklatant versagt. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz erinnere mit seiner vorauseilenden Hasenfüßigkeit an den Herbst 2015, als unter dem Andrang der Flüchtlinge die Grenzsicherung kollabierte. „Damals behauptete die Bundesregierung fatalistisch, Grenzen liessen sich heute nicht mehr schützen. Wenn es darauf ankommt, erklärt sich der deutsche Staat offenkundig gerne für handlungsunfähig“, schlussfolgert die Schweizer Zeitung. Als Urheberin des wattierten Politikstils gelte Angela Merkel, deren präsidiales Amtsverständnis die Demokratie „stillgelegt“ habe. Man tue ihr Unrecht. Es liege nicht an der Kanzlerin, wenn auf allen Ebenen Verantwortung so lange weggeschoben wird, bis sie niemand mehr wahrnimmt. Bis heute sei wegen der Fahndungspannen im Zusammenhang mit dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt niemand zurückgetreten. Auch der Hamburger Innenminister denke nicht an Demission. Wo Klartext der Floskel weiche, verflüchtigt sich auch individuelle Rechenschaft. Der Unwillen, Probleme ungeschminkt zu benennen, werde gerne mit politischer Korrektheit erklärt. Dabei gebe es sehr deutsche Gründe, angefangen bei der kollektiven Psyche einer wiedervereinigten Nation, welche die Ost-West-Spannungen nicht anheizen wollte und alles vermied, was den fragilen Familienfrieden gefährdete.Was als Fürsorge daherkomme, sei nichts anderes als Bevormundung.

„Zwar gibt es auch andernorts die Neigung zum maximalen Konsens, etwa in der Schweiz, doch sorgt hier die direkte Demokratie dafür, dass Störenfriede ihr Forum finden. Die deutsche Politik hat alle Störenfriede erfolgreich ausgegrenzt. Sie züchtet einen Typus Politiker, der sich als Chefbeamter einer geräuschlosen Verwaltung versteht. Helmut Schmidt, der die Verfassung verletzte, um Hamburgs Einwohner vor der Flut zu retten, wäre heute untragbar. Bezeichnenderweise wurde sein Bild in der nach ihm benannten Universität vorübergehend abgehängt, weil es ihn in Wehrmachtsuniform zeigte. Die Bundesrepublik betrachtet ihre Demokratie als geschützte Werkstatt, deren Insassen man die Widersprüche des Lebens nicht zumuten darf,“ heißt es in der NZZ. Die Sozialdemokraten hätten sich mit dem Slogan von der sozialen Gerechtigkeit bereits ins Zwischenreich der Sprechblasen geflüchtet. Das seien Gefilde, in denen sich auch die Kanzlerin heimisch fühlt. ++ (si/mgn/15.07.17 – 197)

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Renaissance der Bürgerwehren – Joachim Nettelbeck und Helmut Schmidt waren Retter und Idole ihrer Städte

Hamburg/München/Leipzig, 23. Januar 2016 (ADN). Auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland schießen gegenwärtig allerorten Bürgerwehren wie Pilze aus dem Boden. Die Geschwindigkeit ist so rasant, dass die kommunalen Administrationen kaum mit dem Zählen hinterherkommen. Die Statistikbeamten von Bund und Ländern ohnehin nicht, da ihnen vielfach die Kompetenz zum wahrheitsgetreuen und präzisen Erfassen neuer gesellschaftlicher Trends allgemein und in Sachen Flüchtlingen speziell inzwischen weitgehend abhanden gekommen ist. Insofern wird das Phänomen beispielsweise am Wochenende in der „Süddeutschen Zeitung“ unter prononciert historischem Blickwinkel abgehandelt und in der „Leipziger Volkszeitung“ vordergründig als juristische Gratwanderung betrachtet. Ein Paragraph des Strafgesetzbuches ermöglicht es nämlich dem mündigen Bürger, seinem Sicherheitsbedürfnis selbst und aktiv nachzugehen. Nichts liegt näher als in Gruppen unter dem Namen Bürgerwehr oder Bürgergarde auf Streife zu gehen, um Akteure von Wohnungseinbrüchen, Diebstählen und anderen Strafdelikten auf frischer Tat zu erwischen oder solchem kriminellen Treiben vorzubeugen. Das Vertrauen der Einwohner in die „offizielle“ Polizei sinkt dramatisch. Ihr droht das Schicksal, zur Randerscheinung zu werden. Natürlich nimmt sie das nicht einfach hin, sondern sucht verzweifelt nach Gründen ihrer Existenzberechtigung. Ausgerechnet in Sachsen hat ihr oberster Dienstherr, Innenminister Martin Ulbig, das in diesen Tagen sabotiert und zum Imageverlust zusätzlich beigetragen, indem er die Bildung einer Wachpolizei auf den Gesetzesweg gebracht hat. Sie wird in zwölf Wochen notdürftig in Lehrgängen auf eine Tätigkeit getrimmt, die ansonsten eine Qualifikations- und Ausbildungszeit von mindestens zweieinhalb Jahren erfordert. Er leistet somit der Renaissance der Bürgerwehren ungewollt Vorschub.

Die plötzlich immer häufiger auftauchenden Bürgerwehren begründen ihr Tun derzeit noch mit rein praktischen Notwendigkeiten, vor allem um Eigentum und Grundstücke vor Verlusten zu bewahren. Derzeit berufen sie sich nicht einmal auf die geschichtlichen Vorbilder, die letztlich als positive Beispiele der politischen Entwicklungen betrachtet werden. So gehören die ursprünglich aus der Waffenpflicht der Bürger zur Verteidigung ihrer Stadt entstandenen Bürgerwehren zu den Protagonisten der Märzrevolution 1848/49, die dann zum ersten demokratischen Nationalparlament Deutschlands in der Frankfurter Paulskirche geführt hat. Jahrzehnte zuvor bot sogar eine gloriose Persönlichkeit der Jugend ein glänzendes Vorbild, indem es in den Befreiungskriegen als engagierter Bürger dem Diktator Napoleon Bonaparte die Stirn bot. Sein Name ist Joachim Nettelbeck, der als Retter der pommerschen Stadt Kolberg an der Ostsee in die Geschichte einging. Er bewahrte die Festung Kolberg 1806/07 vor dem Fall und der Einnahme durch die französischen Belagerer. Als gewählter Bürgerrepräsentant im Stadtrat von Kolberg und Chef der städtischen Kanalisation organisierte er das Löschen der von den Franzosen in Brand geschossenen Stadt effizient und leidenschaftlich. Persönlich stieg er auf die in Flammen stehenden Türme des Mariendoms und dämmte den Kirchenbrand ein. Dazu entriss er dem preußischen Kommandanten und Zauderer Ludwig Moritz von Lucadou, den er als potentiellen Verräter und Unglück für Kolberg einstufte, kurzerhand die Befehlsgewalt über die Stadt. Fortan war Nettelbeck ein Idol, galt als Muster eines Bürgers und Patrioten. Es drängt sich ein etwas jüngerer Vergleich mit dem späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt auf, der als junger Hamburger Innensenator bei der Sturmflut im Jahr 1962 alle denkbaren bürokratischen, regulatorischen und sonstigen Hindernisse ignorierte und die Hansestadt vor noch größeren Folgen der Katastrophe bewahrte. Beide – Nettelbeck und Schmidt – gelten in der Erinnerung der Bürger ihrer Stadt als Retter, Fanale und manchmal sogar als Helden.  ++ (bg/mgn/23.01.16 – 023)

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