Aalen, 2. März 2016 (ADN). „Forschung degeneriert in unserem Lande immer mehr zum Marketing-Instrument. Das schadet nicht nur unmittelbar, indem uns einseitige Ergebnisse als ‚die Wahrheit‘ verkauft werden.“ Das erklärte der ehemalige Investmentbanker und jetzige Dozent an der Hochschule Aalen, Prof. Christian Kreiß, in einem Interview mit der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“. Dadurch werde das Vertrauen der Menschen in die Integrität der Wissenschaft immer mehr untergraben. Er nennt besonders auffällige Beispiele. Sie stammen aus der Pharmabranche. In der Medikamentenforschung würden etwa 90 Prozent aller veröffentlichten Studien von der Pharmaindustrie finanziert. Deshalb wisse niemand wirklich, welche Medikamente eigentlich wie wirken und wie stark die Nebenwirkungen sind. Demzufolge entscheide auch die Pharmaindustrie darüber, welche Studien veröffentlicht werden und welche nicht. Zwar seien die Missstände im Pharmasektor besonders gravierend, aber bei weitem nicht auf diesen Bereich beschränkt.
„Unternehmen versuchen über Mittelzuwendungen immer stärker Einfluss auf die Forschung an öffentlichen Hochschulen zu nehmen. Das machen sie über Geldzuwendungen, welche die an knappen öffentlichen Mitteln leidenden Hochschulen dankbar annehmen“, erläutert Kreiß. Er nannte stellvertretend dafür das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) an der Universität Köln, das von E.ON und RWE stark mitfinanziert wird. Ein EWI-Gutachten zur Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke komme zu dem Ergebnis, dass eine Verkürzung von Reaktorlaufzeiten teuer wird und deshalb nicht zu empfehlen ist. Bei der Erstellung der Untersuchung seien allerdings „haarsträubende Fehler“ gemacht worden, um zu diesem für die Nuklear-Firmen günstigen Ergebnis zu kommen. Eine ähnliche Ansicht vertrete die Umweltpolitikerin Bärbel Höhn, die das EWI für ein getarntes Subunternehmen von E.ON und RWE hält. Der Professor aus Aalen beschreibt ähnliche Zustände am Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Einrichtung wurde 2004 mit 55 Millionen Euro Stiftungskapital von drei Arbeitgeberverbänden gegründet und veröffentlicht häufig sehr arbeitgeberfreundliche Papiere. Die Reihe solcher Verquickungen zwischen Forschung und Wirtschaft lasse sich beinahe beliebig fortsetzen. Der Boden, auf dem staatliche Forschung stattfindet, werde langsam aber sicher immer schräger.
Kreiß sprach sich zwar nicht generell gegen Drittmittelforschung aus, jedoch lehne er die derzeit geübte Praxis in Deutschland ab. Das betreffe beispielsweise die direkten Industriegelder an öffentlichen Hochschulen, die gegenwärtig pro Jahr 1,3 Milliarden Euro betragen. ++ (02.03.16 – 062)
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