Berlin/Leipzig, 18. Februar 2019 (geno). „Kaum Posten für den Osten“. Dass sich diese Überschrift in einer Berliner Zeitung vom Montag reimt, ist wenig tröstlich, denn dahinter stecken bitterböse Tatbestände der deutschen Wiedervereinigung. Da es sich weniger um eine solche als vielmehr einen juristischen Beitritt der DDR zur BRD handelte, erwuchsen daraus nach fast dreißig Jahren reife Früchte des Zorns und der Trübsal. Der Soziologe Holger Lengfeld von der Universität Leipzig blickt in einem Gastbeitrag hinter die Kulissen und erörtert die verfahrene Lage sachlich in ihrer unumstößlichen Dramatik: „Alles begann mit der Wiedervereinigung. weil diese als Ausdehnung des westdeutschen Institutionensystems organisiert wurde, waren in den neuen Ländern Experten gefragt, die sich mit den West-Institutionen auskennen mussten. In der Folge erlebte der Osten binnen kurzer Zeit einen enormen Austausch seiner Führungseliten – eben durch Westdeutsche. Entscheidend ist, dass viele der neuen, damals zugezogenen Eliten auch heute noch auf ‚dem Posten‘ sind, weil sie in den frühen 1990er Jahren, bei Stellenantritt, relativ jung waren. Um den riesigen Bedarf zu decken, bekamen viele Westdeutsche, wenn sie in den Osten gingen, die Chance auf einen Karriereaufstieg, auf den sie im Westen noch viele Jahre hätten warten müssen. Man stelle sich etwa einen 38-jährigen Westdeutschen vor, der in Leipzig im Jahr 1993 Richter am Landgericht oder Universitätsprofessor wurde und später zum Gerichtspräsidenten oder Rektor befördert wurde. Wenn er seine Stelle zwischenzeitlich nicht verlassen hätte, würde er, im Alter von 65, erst 2020 aus dem Dienst ausscheiden. Bis dahin ist seine Stelle für den Nachwuchs blockiert, egal wie qualifiziert dieser auch immer ist.“
Verschärfend kommt nach den Worten von Lengfeld dazu, dass nach der Wende weit über eine Million Ostdeutsche Richtung Westen gezogen sind, darunter überwiegend jüngere und gut qualifizierte. Das verkleinere den Pool an zukünftigen Ost-Führungskräften auf dem Gebiet der neuen Länder. Zwar zeigten Berechnungen des Bundesamtes für Bevölkerungsforschung, dass der Auswanderungstrend 2017 gestoppt zu sein scheint. Bei den 18- bis 29-jährigen verliere der Osten aber nach wie vor an den Westen. Schließlich gebe es in den neuen Ländern anteilig weniger Personen, die über eine für Spitzenpositionen notwendige Hochschulbildung verfügen. Das zeige ein Vergleich der Akademikerquoten der Bundesländer im aktuellen nationalen Bildungsbericht. Dies gelte selbst für jene, die ihren Abschluss erst nach der Wende gemacht haben – offenbar ein spätes erbe der niedrigen DDR-Akademikerquote und ein weiterer Grund dafür, warum es weniger Ostdeutsche. in Führungspositionen gibt.
Ein Ergebnis dieser durchaus vor fast drei Jahrzehnten erwartbaren Disproportionen präsentiert die jüngste hierzu erstellte Studie der Leipziger Universität. Es wurden für die Jahre 2015 und 2016 die Bereiche Politik (Landesregierungen), Unternehmen (Vorstände), Wissenschaft (u.a. Rektoren), Medien (Chefredakteure), Justiz (Richter) und Bundeswehr (Generäle). untersucht. Heraus kam: Im Osten (ohne Berlin) betrug der Anteil Ostdeutscher nur 23 Prozent, bei etwa 87 Prozent Bevölkerungsanteil. Zudem ergab sich, dass im vergleich zu 2004 kaum Veränderungen eintraten. Andere ältere Studien belegten darüber hinaus, dass Ostdeutsche noch seltener TOP-Positionen im gesamtdeutschen Maßstab bekleiden. ++ (od/mgn/18.02.19 – 049)
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