Verdrängen ist Endstadium der Macht des Vergessens

Florenz/Dublin, 22. November 2020 (ADN). Das Vergessen gehört zum gesellschaftlichen Erholungsprozess. So erklärt der australische Historiker Christopher Clark die Erwartung, dass auch die Corona-Krise rasch den Kreis der menschlichen Sorgen verlässt. „Pandemien verschwinden sehr bald aus dem kollektiven Bewusstsein“, sagt der Geschichtsexperte und Buchautor am Sonntag im Deutschlandfunk. Deshalb bleibe es fraglich, ob Lehren aus der Krise gezogen werden. Als überzeugendes Beispiel nennt er die italienische Stadt Florenz, die einst von der Pest überzogen war.

Dass das auch für politische Schreckensereignisse gilt, zeigt der „irische Blutsonntag“, mit dem vor 100 Jahren die britische Krone Dublin und Irland brutal unterworfen hatte. Britische Besatzer erschossen 14 Zivilisten aus Rache dafür, dass die Untergrundorganisation IRA zwölf hohe britische Agenten umgebracht hatte. Dem folgte ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg.

Nach den Worten des Journalisten Padhraic O Dochartaich setzt Versöhnung die Benennung von Unrecht voraus. „Es ist so lange so erfolgreich totgeschwiegen worden, das es eigentlich nicht mehr existiert. Vielleicht ist es gar nicht geschehen. Das ist einfach die Macht des Vergessens, genau das Gegenteil von Erinnerungskultur und Gedächtniskultur. Man muss sich nicht entschuldigen für das, was nach unserer Erinnerung gar nicht geschehen ist. Das ist das Endstadium des Erfolges der Verdrängung.“ ++ (352)

Polens Wiedergeburt spaltet Bürger und Politik

Warschau, 10. November 2018 (ADN). Der 100. Jahrestag der Wiedergeburt des unabhängigen polnischen Staates wurde nicht gemeinsam gefeiert. Bürger und Politik sind gespalten in der Betrachtung der Geschichte. Uneinigkeit besteht in fast jedem historischen Abschnitt des Landes seit 1918: die Zwischenkriegszeit, die Besatzungszeit durch die Deutsche Wehrmacht, der Staat als Teil des Warschauer Paktes und Polen nach 1989. Bis vor wenigen Tagen war noch keine große Feier zum Unabhängigkeitstag geplant. Nur überstürzt, fast spontan kamen Gedenkmärsche zustande.

Die geschichtliche Sichtweise der PiS-Partei trifft einen Nerv der polnischen Gesellschaft. Viele Menschen diskutieren nun über die Vergangenheit, mehr als noch vor zehn oder 15 Jahren. Seit fast 20 Jahren gibt es eine Debatte über die Polen, die im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Besatzern kollaboriert haben. Auch über den Staatsgründer Jozef Pilsudski gibt es stark divergierende Ansichten wie auch zur Solidanosc-Bewegung. ++ (pl/mgn/10.11.18 – 294)

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